Das Phänomen Flaschensammler wird inzwischen auch durch ein Promotionsprojekt geadelt, siehe Seite des
Instituts für Soziologie der Uni Freiburg Die Rückkehr der Sammler: Konturen einer neuen Sozialfigur in deutschen Städten
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Diese Menschen sehen auf den ersten Blick nicht wie Obdachlose aus, obgleich ihre Tätigkeit sie in Verbindung mit dieser stigmatisierten Gruppe bringt.
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Zugleich werden sie als vermeintlich Ob-dachlose stigmatisiert und/oder kriminalisiert, weil ihr „Wühlen im Müll“ zivilisatorischen Rein-lichkeitsstandards widerspricht. Zudem scheint sich in den Medien ein Trend abzuzeichnen, in dem Pfandsammeln synonym für „arm sein“ und als ein stellvertretendes Symbol für die sich öffnende „soziale Schere“ Verwendung findet. Neben einem Beitrag zur Soziologie prekärer Lebens- und Arbeits*verhältinisse leistet die Beschäftigung mit den Pfandsammlern einen Beitrag zur Soziologie des Sammlers, die sich bis zum jetzigen Zeitpunkt stark auf das Sammeln als Liebhaberei fokussiert und – abgesehen von ethnologischen Studien über segmentäre Gesellschaften – das Sammeln als eine Form der Subsistenzsicherung weitestgehend ausgespart hat.
Im Vordergrund steht die Frage: Welche gesellschaftlichen und/oder individuellen Krisen sind es, für die das Pfandsammeln als eine angemessene Lösung gedeutet wird?; d.h. welche gesellschaftlichen und individuellen Dispositionen begünstigen die Entstehung einer solchen informellen Tätigkeit.
Der Promovierende hatte, wie einer
Freiburger Nachrichtenseite zu entnehmen, so leicht gar nicht:
Als Sebastian J. Moser, 31, seinen Betreuern an der Uni Bielefeld vorschlug, über Flaschensammler zu promovieren, stieß er nicht auf Begeisterung. Dann las er einen Aufsatz des Freiburger Soziologen Ulrich Bröckling zum Thema, kontaktierte ihn und schreibt nun in Freiburg seine Doktorarbeit.
Dort wird der Promovierende auch interviewt und sagt ua.
Flaschensammler – sind das nicht vor allem Arbeitslose, Obdachlose und Rentner?
Das kann man so nicht sagen. Entscheidender als die gesellschaftliche Gruppe scheinen die Lebensumstände zu sein. Wie gesagt: Ich glaube, dass Flaschensammeln eher etwas mit sozialer Vereinsamung zu tun hat.
Haben Flaschensammler immer dieselbe Route?
Ich habe zwei Gruppen von Flaschensammlern ausmachen können: Routensammler, also die, die einer festgelegten Route folgen. Und die eben genannten Veranstaltungssammler, also die, die zu Großveranstaltungen gehen und dort sammeln. Allerdings können die beiden Gruppen sich auch überschneiden.
Wie sind Sie bei Ihren Forschungen vorgegangen?
Zuerst habe ich sehr viel beobachtet, dann habe ich selbst Pfandflaschen gesammelt. Wenn man einmal in die Mülltonne gegriffen und sich dabei umgeschaut hat, versteht man vielleicht besser, was in einem Flaschensammler vorgeht. „Teilnehmend beobachten“ nennt man das in der Soziologie. Dann habe ich in mehreren deutschen Städten Gespräche mit Pfandsammlern geführt – vor allem in Bielefeld, Berlin und Stuttgart – und diese Gespräche vermittels der Sequenzanalyse untersucht.
Was sagt das Phänomen der Flaschensammler über unsere Gesellschaft aus?
Dass diese Leute Tätigkeiten brauchen, die sie an Arbeit erinnern. Und dass sie nicht Flaschen sammeln gehen, um Geld zu verdienen, sondern um ihren Alltag zu strukturieren und sich in ihrer freien Zeit zu beschäftigen. Flaschensammler sind einer Arbeitsideologie verhaftet, die der Soziologe Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts als protestantische Arbeitsethik genannt hat. Sie wollen arbeiten um jeden Preis. So wie jener bekannte Arbeitslose aus der Weimarer Republik, der ein Schild trägt auf dem steht: Nehme jede Arbeit gleich welcher Art sofort an.
Der Gesellschaft gehen einfache Erwerbstätigkeiten aber immer mehr aus. Und sie schafft es nicht, diesen Menschen ein gutes Gewissen einzureden, wenn sie nicht arbeiten. Daher sind immer mehr Menschen dazu bereit, sich egal wie weit zu erniedrigen, nur um einer Tätigkeit nachzugehen, die irgendwie an Arbeit erinnert. Das finde ich beängstigend, denn diese Situation hatten wir in Deutschland schon einmal.
Einen weiteren IMHO interessanten Aspekt findet man in einem Bericht der
Welt Eine weitere Erklärungsmöglichkeit liege in der Sammlernatur des Menschen. "Das ist eine Tätigkeit, die selbstverstärkend ist und fast Abhängigkeitscharakter haben kann", erklärte Moser. "Man denke nur mal an die Briefmarken- oder Kunstsammler, die einen regelrechten Jagdtrieb entwickeln, der letztlich dazu führt, dass diese Menschen immer weiter sammeln."
Das sei beim Flaschensammeln "vermutlich ein bisschen ähnlich".
Zwar nicht mit Sammeln von Pfnadflaschen, was ich nie betrieb, aber von der Suche nach abgelaufenen Artikeln im Einzelhandel dort, wo es Einkaufsgutscheine dafür gibt, kenne ich das wohl auch ein bißchen... Also diese jägerartige Lust an der Suche, jedoch ohne Abhängigkeitscharakter.