Mit der klassischen Broadway-Ausprägung der Musicals - Standardmelodien und Schmalzhandlung, überspitzt ausgedrückt - konnte ich noch nie etwas anfangen. Auch die meisten Andrew-Lloyd-Webber-Sachen und Epigonen sind musikalisch ganz hübsch, rangieren für mich aber zwischen zu albern und "naja, ganz nett". Dabei möchte ich allerdings keineswegs ausschließen, dass es hier ordentliche oder sogar richtig gute Vertreter gibt, für die ich bisher nur zu ignorant war.
An modernen Pop-Musicals, Pop-Opern, Rock-Opern und wie die Mischformen so alle heißen, kann ich aber einigen Gefallen finden. Hier kenne ich jedoch ausschließlich Filme und CD-Aufnahmen, keine Live-Aufführungen. Allerdings erscheinen mir erstere auch als das deutlich geeignetere Medium für dieses Genre, da Aufführungen doch trotz einiger möglicher Spielereien letztlich auf die üblichen Tänzeleien beschränkt sind, während sich im Film visuell grandioses leisten lässt.
Mein Lieblingsvertreter ist hier ganz sicher The Who's "Tommy". Bei den Beatles-Filme, vor allem natürlich "Yellow Submarine", aber auch "A Hard Day's Night", wäre zu diskutieren, ob sie schon als Musical zählen oder nur als musikbegleiteter Film. Die "Rocky Horror Picture Show" enttäuschte mich etwas, ist aber allemal sehr spaßig. Von "Hair" und "Jesus Christ Superstar" habe ich viel gutes gehört, aber habe die Verfilmungen bisher nicht gesehen.
Aus den letzten Jahren gefielen mir das Anti-Anti-Drogen-Satire-Wirrfug-Meisterwerk "Reefer Madness" und die Beatles-Hommage "Across the Universe" ausnehmend, das Gothic-Horror-SciFi-Machwerk "Repo - The genetic opera" recht gut. "Chicago" fand ich trotz der amüsanten Handlung eher enttäuschend, da es stilistisch im Tanz-Glitter-Einheitsbrei blieb.
Um spezifischer auf Padreics Gedanken einzugehen: einige der genannten Vertreter erreichen meines Erachtens durch ungewöhnliche Settings, abgedrehte Texte und visuelle Genialität die künstlerische Ebene, die dem klassischen Träller-Musical fehlt. Wenn ich dich richtig verstehe, verfehle ich aber mit meiner Fixierung auf Film-Musicals etwas deine Intention, das Besondere, vielleicht gar Schockierende, rein im Lied zu suchen. Was meinst du, geht "Tommy" in seiner ursprünglichen Alben-Inkarnation in diese Richtung, oder ist es dazu viel zu humoristisch? Genesis' "The Lamb lies down on Broadway" wäre eine eher düster-verstörende Rockoper, die aber mangels Verfilmung oder -bühnung aber natürlich weiter vom eigentlichen Musical entfernt und letztlich eher ein normales Album ist.
In diesem Bereich könnte ich mir ansonsten noch gut vorstellen, dass es Vertreter gibt, die deinem Ansatz richtig entsprechen. Dass es davon aber je einer auf eine große Bühne geschafft hat, steht kaum zu vermuten, da man es sich im kleinen und festgelegten Bühnen-Musical-Markt eben viel weniger als bei Filmen oder Alben erlauben kann, den Massengeschmack zu provozieren.
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