Ich finde erstmal beachtlich, wie lang anhaltend trotz Kälte und über weite Strecken relativ friedlich der Protest gewesen ist, und offenbar recht tief in der Bevölkerung von Kiew und der Westukraine verankert - ohne infrastrukturelle Unterstützung der Bevölkerung funktioniert das nicht. Das sah mir nicht nach einem Haufen radikaler Splittergruppen aus. Daß auch solche Extremisten dabei waren, war wohl unvermeidlich, aber es scheint mir nicht die breite Masse gewesen zu sein. Sicher kann gefragt werden, ob nicht aber diese Splittergruppen am Ende den Scharfschützeneinsatz provoziert haben.
Sicher ist zu fragen, ob die Leute für eine Mehrheit gestanden haben. Bei der letzten Wahl hatten Janukowytsch und Timoschenko jeweils >45% der Stimmen, also quasi eine Patt-Situation. Mag also sein, daß hier die eine Hälfte vertreten war und die andere sich nicht in vergleichbarer Weise und wirksam positionieren konnte.
Zitat von Maglor:Die ukrainische Opposition hat damit bewiesen, dass sie sich nicht an Vereinbarungen hält und kompromisslos ist. Janukowitsch hat bewiesen, dass er eben doch nicht zum äußersten bereit ist. Er hat klein beigegeben. Es klingt wie ein Witz. Am 21. Februar stimmt er Neuwahlen zu und am Folgetag besetzen und plündern Paramilitärs seine Residenz.
Das scheint mir eher ein Problem von Splittergruppen gewesen zu sein, denen das Erreichte nicht weit genug ging, nach der langen Dauer des Protests.
Ich sehe das auch grundsätzlich als eine etwas schwierige Anforderung - hier Leute, die Wochen ihr gesamtes Leben für den Protest umgekrempelt haben, mitten im Winter und unter nicht ganz einfachen materiellen Bedingungen - da Politiker, die in edelgetäfelten gut geheizten Residenzen leben oder in Limousinen durchs Land chauffiert werden, deren Gehälter ständig fließen und denen der Protest eigentlich nur die Aussicht stört und vielleicht den einen oder anderen nicht so freundlichen Termin einbringt.
Das Maß ist irgendwann voll, und wenn dann als Ergebnis nur herauskommt, daß der Kerl da oben noch bis zum Jahresende regieren kann, ist das nicht unbedingt befriedigend.
Daß Janukowitsch dann mit Scharfschützen vorgegangen ist, hat ihn den Rest an Legitimität gekostet.
Vielsagend fand ich auch den juristischen Hintergrund der Freilassung von Julia Timoschenko. Das Parlament hat über eine entsprechende Gesetzesänderung abgestimmt, sodass das, was Timoschenko "angestellt hat", nicht mehr strafbar ist. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass ihre Haftstrafe rechtmäßig war.
Politik und Logik sind nicht unbedingt einerlei^^
Wegen "rechter Tendenz": Janukowitsch versuchte als Präsident einen Ausgleich mit den Russen, Tataren und sonstigen Minderheiten zu erreichen.
Man könnte auch sagen, er kümmerte sich besonders um den russophilen Bevölkerungsteil. Interessengleichheit mit dem Lupenreienn Demokraten?^^
Wie es jetzt weitergeht, weiß nur der Unstern.
Vielleicht wählen die Ukrainer ja demänchst wieder Janukowytsch zum Präsidenten, wäre ja nicht das erste mal.
Die Generalamnestie scheint für ihn auch nicht zu gelten.
Naja, Janukowitsch hatte bei der letzten Wahl etwa 49% der Stimmen. Wenn der Protest auch etwa so viele Stimmen repräsentiert, und sich zersplittert, könnte das mit dem Stimmgewicht des Ostens passieren.
Allerdings müsste er dann auch Wahlkampf machen, und das ist nicht gut mit einer Fahndung zu vereinbaren. Außerdem müsste er wieder das Gefallen Putins finden.