AmyRoyal Member
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Zur gleichen Zeit läuteten in einer prächtigen Stadt, kaum einen halben Tag entfernt, die düsteren und tiefen Glocken. Sie hießen die Todesglocken und mit einem Mal sah das Volk mit betrübter Miene auf den Boden. Die Frauen verbargen ihr nun blasses Gesicht hinter den Händen und die Männer ballten ungläubig die Faust. „Nein, das kann nicht sein...“, schluchzte eine alte Frau und warf ein schwarzes Tuch über das Kreuz, das erhaben an der alten und dreckigen Wand hing. „Ausgerechnet heute muss es unseren lieben König treffen.“ Sie schüttelte den Kopf und spürte die tröstenden Hände ihrer Enkel auf ihren Schultern. „Weine nicht Großmutter, niemand hätte ahnen können, dass er dieses Jahr verstirbt, wo er doch so stolz und voll Kraft erst vor kurzem neu geheiratet hatte.“, murmelte ihre Enkelin und küsste sie auf die Stirn. „Weine nicht...“, sprach sie erneut und schritt dann zur Türe, wo sie selbst traurig aus dem Fenster blickte und nachsah, wie vier prächtige Ritter die Straße entlang gingen. Ihre Rüstung war verziert mit dem Wappen ihres Landes, einem Adler mit ausgebreiteten Schwingen auf rotem Hintergrund, und der Ausdruck in ihren Gesichtern war kalt. Jahrelang hatten sie ihrem König Erechin treu gedient, was war er nur für ein guter Herrscher...
Die vier tapferen Ritter trugen auf ihren Schultern den Sarg, in dem der tote Leichnam von König Erechin lag, kalt und stumm. Der Sarg war aus dunklem Holz gebaut, fast so schwarz wie die Kleidung seines Sohnes und seiner Frau, die trauernd und mit gesenktem Häuptern den Rittern auf den Friedhof hin folgten. Èchelis, Erechins Sohn, hielt verbissen das Schwert seines Vaters in seiner rechten Hand, sein leerer Blick ruhte auf der kostbaren Waffe und er schenkte seiner weinenden Stiefmutter Rael keinen Funken Aufmerksamkeit. Viel hatte er schon von der Magierin gehört und da jeder ihrer Gatten, tapfere Männer, aber auch Könige, kurz nach der Heirat verstorben waren, ging das Gerücht um, dass sie sie alle tötete. Viele glaubten nicht an das Gerücht, andere waren doch der Meinung, dass es stimme und Èchelis schloss sich ihnen an. Vom ersten Tag an, als Rael, die kalte und traurige Schönheit aus dem Norden, das Schloss betrat, spürte er das Böse, dass von ihr ausging. Gehasst hatte er sie wie die Pest. Denn sein Vater hatte zu ihm gesagt, dass sie ein guter Ersatz für seinen geliebte Mutter, die früh starb, sei. „Nein, Vater“, hatte er zu dem König gesagt, „es wird nie jemanden geben, der so sein wird wie meine Mutter und eure Gattin!“ Doch sein Vater hatte ihm kein offenes Ohr geschenkt und nur mitleidig gelächelt...
Die Ritter öffneten das Tor des Friedhofes und schritten kerzengerade den Weg entlang, vorbei an den Gräbern der Bürger. Plötzlich stimmten sie ein trauriges Lied an, dass von den Heldentaten von König Erechin handelte, den man den Bärenträger nannte. (Das kommt, weil er in seinen jungen Jahren einen Bären erledigte und ihn auf seinen Schultern mit all seiner Macht nach Hause schleppte.) Der Gesang der Ritter hallte auf dem verlassenen Friedhof wieder und Èchelis blickte kurz über seinen Schulter zu seiner Stiefmutter, die bei der Erwähnung ihres toten Gatten in dem Lied, aufschluchzte. Er musterte sie streng und als sie seinen Blick spürte, sah sie auf. Und unter ihrem schwarzen Schleier blitzen ihre dunklen und traurigen Augen auf und das Diadem auf ihrer Stirn leuchtete im Licht der Sonne auf. „Èchelis, mein Sohn, in vielen Jahren wird man auch dir solch ein wunderschönes Lied widmen, denn dein Mut ist größer als die eures Vaters..“, hauchte Rael und warf den schwarzen Schleier nach hinter. Wirr hingen Strähnen ihres blondbraunen Haares in ihrem Gesicht und klebten an ihren Wangen, an den frischen Tränen. „Nennt mich nicht euren Sohn, Lady Rael. Das bin ich nicht und ich werde es auch nicht sein.“, knurrte er, drehte sich wieder um und folgte den Rittern in eine große Halle, deren Boden übersäht mit Blumen waren. Man trug den Sarg zu einem langen steinernem Podest, auf den man ihn legte. Èchelis sah sich um, erblickte die vielen anderen Särge seiner Ahnen und auch den seiner Mutter. Die Ritter gingen mit gesenkten Häuptern kurz in die Knie, lehnten ihre Schwerter an den Sarg und verließen dann die Hallen der Könige und Königinnen.
Èchelis trat an den Sarg seines Vaters und legte vorsichtig den Schatz von einem Schwert darauf. „Ihr seid nicht durch das Schwert gestorben, dennoch sagtet ihr mir einst, ihr wollet mit ihm über die Schwelle des Todes treten. Und daher gebe ich euren treuesten Freund zurück...“, flüsterte des Königs Sohn und küsste mit geschlossenen Augen den Sarg. Dann drehte er sich um, in seinen Augen ein Funke der Traurigkeit, auch wenn er ihn vor Rael versteckt halten wollte. Er sah sie zornig an und ballte verstohlen die Hand zur Faust. „Lady Rael, ich lasse euch nun alleine...“, brummte er und versuchte es höflich und nett zu sagen, doch nicht einmal er konnte soviel Wut verbergen. Doch als er an seiner Stiefmutter vorbeitreten wollte, um zurück ins Schloss zu gehen und zu trauern, hielt sie ihn fest. „Nun seid ihr König, Èchelis. Ihr werdet so werden wie euer Vater.“ Glitzernde Tränen verließen ihre dunklen und kalten Augen und tropften auf den weißen Marmorboden. „Und da der einzige Mann, den ich liebte aus dem Leben verschieden ist, werde ich nicht mehr gebraucht. Daher..“ Sie holte tief Luft, „...werde ich Maofoss, die Stadt in den Wäldern, verlassen und weiterziehen. Ich werde euch mit meinem Trauer nicht zur Last fallen, König Èchelis, mein Sohn...“ Èchelis Herz machte einen Sprung und ohne ein Wort zu sagen verließ er den Friedhof und ließ nun seinen Trauer freiem Lauf.
Königin Rael stand schweigend am Sarg und als König Èchelis nicht mehr zu sehen war, wischte die Magierin sich die Tränen mit dem Handrücken von den Wangen. Erleichtert seufzte sie. Dann sah sie auf den Sarg, in dem der Mann lag, den sie vergiftet hatte, und knöpfte ihren schwarzen Kapuzenmantel zu. „Verzeiht, König Erechin, das ihr dieses mal mein Opfer ward. Ich wünsche euch, dass ihr ohne Sorge über die Schwelle ins Licht der zweiten Welt tretet. (Zweite Welt= Welt nach dem Tod)“ Sie zog sich die Kapuze über das Gesicht und strich noch einmal lästige Strähnen aus ihrem blassen Gesicht. Nun trat sie aus der Halle und schloss die Tür. Rael, die schöne Tochter einer Magd in den dunklen Ländern im Norden, schritt nachdenklich den Weg zu den Toren des Friedhofes entlang, als ihr plötzlich jemand auffiel. Vor ihr stand nicht weit entfernt ein großgewachsener Mann mit schwarzen langen Haaren und einem spöttischen Lächeln auf den Lippen. Eine tiefe Narbe zierte seine linke Wange und mit einem leichtem Nicken begrüßte er Rael. Die Magierin sah auf und rannte voll Hoffnung auf den Mann zu. „Nemesis...“, hauchte sie und ging vor ihm auf die Knie. Sie sah auf zu ihm und ihre Augen wurden nun wirklich feucht und glänzten, wie das wunderschöne Diadem auf ihrer Stirn. „Der neunte. Nun fehlt noch einer.“, lächelte er und reichte ihr einen silbernen Schlüssel an einer ebenso silbernen Kette. „Habt dank..“, wisperte Rael und hing sich den Schlüssel um den Hals, wo versteckt auch acht andere hingen und wie eine schwere Last für sie schien. Nemesis kramte in seiner Manteltasche und zog einen Zettel aus der Tasche. „Das ist für dich, Amisat, nein Rael willst du genannt werden. Es ist von deiner Tochter.“ Er reichte ihr den Zettel und Rael presste den Tränen nahend die Lippen zusammen, als sie das Blatt auffaltete. „Nur noch ein toter Mann, der dich geliebt hatte und du wirst sie wieder in die Arme schließen können. Deine Tochter Schadon, die Schöne.“, sagte Nemesis und seine Stimme klang böse und dunkel. Rael starrte zitternd auf das Bild von einem kleinem Mädchen, dass auf einem Hügel stand, wo die prächtige Sonne auf sie schien. Und hinter dem Mädchen stand eine junge Frau. „Als sie dies zeichnete sagte Schadon, wie gerne sie doch wieder das Sonnenlicht sehen würde und ihre Mutter.. Um ihr zu sagen, wie sie sie hasse.“ Rael blickte kopf schüttelnd zu dem Mann hoch. „Nein...“, flüsterte sie und eine Träne, nun war es eine Echte und keine Gespielte, wie bei dem König, tropfte auf das Blatt Pergament. „Sie hasst dich Rael. Deine Tochter hasst dich, weil du sie diesen Qualen überlassen hast und sie nicht rettest.“ Rael sprang auf und schlug Nemesis gegen die Brust. „Mein Herr, was sagt ihr da? Bitte sagt mir, dass das nicht wahr ist. Bitte sagt mir, dass das nicht wahr ist!!“, schrie Rael und ihre blassen Wangen bekamen leichte Röte. Nemesis nickte. „Du sollest dir eine Gruppe Wanderer oder Krieger suchen, denen du dich anschließen kannst. Und nach und nach wird ihr Vertrauen zu dir wachsen und irgendwann wird aus dem vertrauen eines Mannes Liebe und sobald er nicht mehr ohne dich leben kann, wirst du ihn töten, kalt, wie Luzifers Braut es tun würde...“, befahl Nemesis und dann war er verschwunden und Rael stopfte sich das Blatt Pergament in die Manteltasche, wischte sich die Tränen weg, holte tief Luft und zog einen Spiegel herbei. Sie sah sich an, erkannte ihre Schönheit und ging dann fort aus der Stadt, durchschritt den Wald, auf der Suche nach einer Gruppe, denen sie sich anschließen konnte. Und nun waren Raels Augen wieder kalt und nichts war mehr übrig von der jungen traurigen Frau...
Fröstelnd rieb sie sich ihre Hände und nicht einmal ihre Handschuhe schenkten ihr Wärme. Mit ihrem eisigen Körper und kaltem Blick sah sie nach vorne. Doch sie sah nur den Waldrand.
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