Nicht Determinismus, sondern...?

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e-noon
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Do 21. Jun 2007, 23:34 - Beitrag #1

Nicht Determinismus, sondern...?

Es wurmt mich einfach ^^ Der thread ist speziell für Ipsi gedacht, natürlich darf jeder mit Sinn für die Ernsthaftigkeit der Frage auch analytisch tätig werden (ich denke, "analytisch" ist hier durchaus angebracht, da es explizit um eine Lösung und den logischen Weg zu dieser gehen soll).

Ich nehme mal die wikipedia-Einleitung als Grundlage, denn so in etwa verstehe ich Determinismus: Oder nein doch nicht, bei nochmaligem Lesen steht fest, das ist Murks.

Also, ich verstehe unter Determinismus die Auffassung, dass ein beliebiges Ereignis zum einen vollständig auf Ursachen zurückgeführt werden kann, dass also ohne diese Ursachen das Ereignis nicht oder anders verlaufen wäre. Desweiteren ist dieses Ereignis von seinen Ursachen bestimmt, dh. determiniert worden, sodass es zwangsläufig zu dem Ereignis kam (Bsp: Wenn ich dumm bin und nicht lerne und mir das Thema der Arbeit nicht liegt und keiner mir hilft und ich nicht schummle - dann schreibe ich zwangsläufig eine schlechte Arbeit). Die Regelmäßigkeiten in der Natur interpretiere ich somit nicht als zufälliges zeitliches Zusammentreffen (zufällig ist es warm, wenn die Sonne scheint, und nass, wenn es regnet), sondern als Gesetzmäßigkeiten, die im allgemeinen feststehen und uns zum Teil bekannt sind. Dies beziehe ich vorsichtshalber nur auf den Makrokosmos, da eventuell durch aktuelle Forschung nahegelegte Indeterminiertheit auf Quantenebene sich meiner Meinung nach, sollte es sie geben, nicht auf die Makroebene fortsetzt.

Nun ist meine Frage an Ipsi und mögliche andere Vertreter nicht-deterministischer Weltbilder, wovon ein Ereignis abhängt, wenn es nicht (völlig?) von seinen Ursachen abhängt, und ob Zufall zu eurem Weltbild gehört, und natürlich, wie ihr die jeweiligen Begriffe definiert (allein eine Definition kann einen vom Atheisten zum Agnostiker machen und vom Ungläubigen zum Gläubigen, also ist das kein Spleen von mir, sondern eine echte Notwendigkeit ^^).

Vor allem würde mich interessieren, wenn Zufall in euer Weltbild gehört, wie dieser aussehen und was er sein soll :) Dann mal los!

Ipsissimus
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Fr 22. Jun 2007, 00:52 - Beitrag #2

mal als erste Annäherung, todmüde, daher morgen vielleicht wieder überarbeitend und sicher ergänzend^^

daß ein Ereignis rückblickend durch eine vollständige Kausalkette entstanden ist, die meinetwegen bis zum Urknall zurückgeht, damit kann ich gut leben, auch wenn ich die absolute Notwendigkeit einer solchen Auffassung nicht wirklich einsehe und darin eher eine philosophische Grundsatzentscheidung erblicke - die meisten Menschen WOLLEN mit Kausalität arbeiten, da ihnen Kontingenz zu abgründig ist. Ich bevorzuge Kontingenz als zentrales Erklärungsmuster anstelle Kausalität

was ich in jedem Fall bestreite: daß zu Beginn einer solchen Kausalkette feststeht, welche Glieder sie durchläuft, welche Ergebnisse sie zeigen wird, ob ein BESTIMMTES Ereignis zwangläufig ohne jede Möglichkeit des Vermeidens eintreten wird, sobald die Kette erst einmal initiiert ist. Nur wenn dies der Fall wäre, würde ich dieses Ereignis als deteminiert auffassen, aber DASS dies der Fall ist, bestreite ich^^

e-noon
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Fr 22. Jun 2007, 01:35 - Beitrag #3

Zitat von wiki:Modallogische Definition:
A heißt möglich, wenn nicht notwendig nicht A gilt.
A heißt nun kontingent, wenn außerdem nicht notwendig A gilt.
Man kann also sagen, dass Kontingenz eine besonders offene Form der Möglichkeit ist.
Damit kann ich nicht sehr viel anfangen. Kontingenz ist definiert als etwas, das weder notwendig noch unmöglich ist. Wenn ich also ein Glas loslasse und sein Fall wäre kontingent, könnte es auf dem Betonfußboden zerschellen oder auch nicht, meinst du das? Das würde ich dann eher verneinen... (je nach Höhe und nach Art des Glases, natürlich ^^ Panzerglas aus 10 cm, ok ]daß ein Ereignis rückblickend durch eine vollständige Kausalkette entstanden ist, die meinetwegen bis zum Urknall zurückgeht, damit kann ich gut leben[/QUOTE] Gut leben? So wie du mit der Tatsache leben kannst, dass es grüne und rote Hemden gibt, oder so, dass du es auch plausibel findest und als (zweites) Konzept (neben Kontingenz) damit arbeitest?
auch wenn ich die absolute Notwendigkeit einer solchen Auffassung nicht wirklich einsehe und darin eher eine philosophische Grundsatzentscheidung erblicke
Ich würde nicht und habe nie behauptet, dass diese Auffassung die einzig wahre ist ^_^ Es ist eine Frage der Methodik, und ebenso, wie ich annehme, dass die Dinge auch da sind, wenn ich nicht hinsehe, gehe ich davon aus (als durchaus hinterfragbares, mir aber am plausibelsten scheinendes Axiom), gehe ich davon aus, dass es Ursachen hat, wenn etwas passiert. Methodisch wie auch ganz instinktiv, wenn etwas seltsames passiert, frage ich mich "warum?", "wieso?", "wie konnte das passieren?"
Nur wenn dies der Fall wäre, würde ich dieses Ereignis als deteminiert auffassen
Dann decken sich dahingehend unsere Definitionen, eine sehr gute Basis.

aber DASS dies der Fall ist, bestreite ich^^
Als Geschmackssache, oder aus methodischen/wahrscheinlichkeitstechnischen Gründen?

Mit dem Rest warte ich dann auch lieber bis morgen. :)

Ipsissimus
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Fr 22. Jun 2007, 10:50 - Beitrag #4

mein Duden definiert Kontingenz in Rahmen der Logik als das Mögliche, das nicht zugleich auch notwendig ist, kommt also auf die modallogische Definition hinaus. Ich verwende den Begriff auch tatsächlich in dieser Weise, etwas erweitert und auf die physikalische und psychische Wirklichkeit erweitert: ein Sachverhalt ist kontingent, wenn sein Eintreten durch keine Gesetzmäßigkeit verboten ist, aber auch durch keine Gesetzmäßigkeit erzwungen wird.

In gewisser Weise impliziert der Kontingenzbegriff das Thema "Grenzen des Wissens". Dabei geht es mir nicht so sehr um die Problematik, ob wir überhaupt in einem strengen Sinne etwas wissen können, sondern um die Grenzen, bis zu denen wir fundierte, plausible Vermutungen (aka "Wissen") hegen können, ohne ins rein Spekulative oder bloß weltanschaulich Fundierte abzugleiten.

in einem alltäglichen Kontext liefert die Annahme von Kausalität eine gute Annäherung an das reale Geschehen. Dies ist so, weil es kausale Zusammenhänge gibt, bzw. genauer gesagt, weil wir uns die Welt so beschreiben, daß kausale Zusammenhänge ein zentraler Stützpfeiler der Beschreibung sind. Nun existiert aber Kausalität nicht als die eine Sache - der kausale Zusammenhang zwischen einem Apfel, der sich öffnenden Hand und dem Fall des Apfels zu Boden ist ein ganz anderer als der zwischen dem Schalter, dem Atomkraftwerk und dem Licht in deinem Zimmer. D.h. der Begriff der Kausalität subsummiert unzählige kausale Zusammenhänge, aber er ist nicht die eine homogene Kittmasse, die das Universum zusammenhält, sondern setzt sich aus völlig inhomogenen Elementen zusammen.

Kausale Zusammenhänge sind aber auch mit Kontingenz vereinbar, etwas, das möglich ist, kann problemlos durch eine Ursache hervorgerufen worden sein, warum auch nicht. Kontingenz behauptet aber, daß es auch solche Sachverhalte gibt, die nicht auf eine sie erzwingende Ursache rückführbar sind. Die schlimmste Zumutung dieser Art^^ steht in der klassischen Kausalitätsannahme gleich am Anfang^^ da ist also ein Nichts, und von einem Augenblick zum anderen ist inmitten dieses Nichts "einfach so" ein Materieklumpen mit Universumsmasse, mit einem vollständigen und irreversiblen Set an Gesetzmäßigkeiten, die sein Verhalten steuern, und das ohne jede greifbare Ursache, ohne Voraussetzung.

Sagen wir es so, ich verteile die Zumutung dieser Aussage einfach über die gesamte Lebenszeit dieses Materieklumpens. Im Prinzip liegen kausale Zusammenhänge vor, die sich aber an den Rändern verwischen, unscharf werden, die Relevanz der Unschärferelation in diesem Zusammenhang wurde ja schon diskutiert. Aus meiner Sicht der Dinge ist es so, daß wir uns mehr oder weniger an den "metaphysischen" Schock der Urknalltheorie gewöhnt haben, und deswegen das Ungeheuerliche daran nicht mehr sehen, oder vielmehr: mit aller Macht übersehen - und darum gezwungen sind, "harte" Kausalität anzunehmen selbst da, wo uns eine etwas entspanntere Sichtweise auch nicht schaden würde, aber wesentlich entspannter wäre^^

Im Prinzip stelle ich mir die Wirklichkeit als einen seltsamen Attraktor vor. Auch seltsame Attraktoren bilden Muster, zumindest endet unsere Fähigkeit, Muster zu sehen, nicht bei seltsamen Attraktoren, obwohl sie reines Chaos sind. Aber wie bei jedem seltsamen Attraktor ist die Rückverfolgbarkeit der Kausalkette begrenzt, schon nach wenigen Gliedern wird die Menge der Einflussgrößen unentwirrbar. Und Vorwärtsverfolgbarkeit ist in jedem Falle eng begrenzt. Aus der Sicht vom Lebensende uzrück hat ein Leben nur einen und genau einen einzigen Verlauf genommen. Aber bei der Geburt hätte dich alles Wissen um alle Geheimnisse der Wirklichkeit nicht befähigt, genau diesen einen Verlauf vorherzusagen.

Damit ist für mich Kausalität etwas, das ich zur Kenntnis nehme, womit ich arbeite, in den Grenzen, in denen angemessen damit gearbeitet werden kann, aber ich strapaziere diese philosophische Überzeugung - und mehr ist Kausalität nicht - nur äußerst selten über die Grenzen der Angemessenheit hinaus. Vieles, was wesentlich ist am menschlichen Leben, ist der Willkür anheimgestellt^^

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Fr 22. Jun 2007, 13:12 - Beitrag #5

Zitat von Ipsissimus:Auch seltsame Attraktoren bilden Muster, zumindest endet unsere Fähigkeit, Muster zu sehen, nicht bei seltsamen Attraktoren, obwohl sie reines Chaos sind. Aber wie bei jedem seltsamen Attraktor ist die Rückverfolgbarkeit der Kausalkette begrenzt, schon nach wenigen Gliedern wird die Menge der Einflussgrößen unentwirrbar.

Bzw. das Eigentliche in der Kausalkette ist, scheint mir, daß sie für diese chaotisch sich verhaltenden Strukturen endlich ist: Fließt das Wasser um einen Brückenpfeiler, passiert - nichts. Fließt das Wasser schneller um einen Brückenpfeiler, tritt irgendwann ein Wirbel auf, beginnt ein seltsamer Attraktor zu wirken. D.h. an diesem Punkt beginnt die Kausalitätskette.
Bzw., mikroskopisch betrachtet, werden irgendwann Inhomogenitäten wie Bettunebenheiten, eingeschlossene Luftblasen u.ä. so wirkmächtig, weil ihre Bremswirkung auf eine begrenzte Wassermenge gegenüber der umgebenden Fließgeschwindigkeit so zunimmt, daß abwärts ein Vakuum enbtsteht, in das Wasser einströmt - juppheidie ist die Gegenströmung entstanden und der Wirbel entstanden.
Im Grunde könnte das auch eine Lösung für die schlimmste Zumutung sein - unser Problem ist, daß wir immer suggeriert bekommen, daß unser Universum auf das einzige vorhandene unknallfähige Materievorstadium zurückgehe. Lass den Ereignisraum beliebig größer werden mit beliebig vielen anderen Plasmawolken, und durch Interaktion dieser oder eine plötzliche Zustandsänderung des Gesamtsystems wird es möglich, daß die eine oder andere Wolke früher oder später über einen point of no return hinaus komprimiert wird - mit der Folge, daß diese Wolke ein neues Subsystem mit völlig neuen Eigenschaften generiert.

e-noon
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Fr 22. Jun 2007, 13:13 - Beitrag #6

Kausale Zusammenhänge sind aber auch mit Kontingenz vereinbar, etwas, das möglich ist, kann problemlos durch eine Ursache hervorgerufen worden sein, warum auch nicht
Ja, warum nicht ^^ der Meinung bin ich auch.

Die schlimmste Zumutung dieser Art ^^ steht in der klassischen Kausalitätsannahme gleich am Anfang
Mein Determinismus macht nur Aussagen bis zu einem bestimmten Punkt in der Vergangenheit, der den Urknall nicht mit einschließt ;) Das wäre vermessen. Ich gehe aber davon aus, dass seit einiger Zeit (ich sage mal willkürlich 13 Mia. Jahre) die Dinge sich so verhalten, wie sie es nun mal tun, die Materie einen ähnlichen Zustand hatte wie heute oder darauf hinauslief und sich daher seitdem nichts wesentliches verändert hat, was die Prinzipien angeht, nach denen unsere beobachtbare Welt funktioniert.

Auch seltsame Attraktoren bilden Muster, zumindest endet unsere Fähigkeit, Muster zu sehen, nicht bei seltsamen Attraktoren, obwohl sie reines Chaos sind.
Dem würde ich widersprechen, und auch das, was du im folgenden nennst, scheint dem zu widersprechen.
wie bei jedem seltsamen Attraktor ist die Rückverfolgbarkeit der Kausalkette begrenzt, schon nach wenigen Gliedern wird die Menge der Einflussgrößen unentwirrbar.
Man kann zwar nicht vorhersagen, wie sich das System weiterentwickeln wird, aber doch nur, weil es zu komplex ist, nicht, weil es nicht determiniert wäre. Der Übergang von Attraktoren mit ganzzahliger Dimension zu seltsamen Attraktoren ist für mich nicht "pures" Chaos, sondern deterministisches Chaos, die Vorhersagbarkeit endet aufgrund der Komplexität, aber die Einflussgrößen bestimmen weiterhin den Verlauf des Systems und es ist auch möglich, diesen Verlauf mathematisch zu beschreiben.
Oder wie sonst sollte ein bestimmter weiterer Zustand des Systems entstehen, wenn nicht bedingt von seinen Einflussgrößen? Und ist es nicht einleuchtend, dass GENAU DIESE Einflussgrößen GENAU DIESEN Zustand bestimmen, und dass andere Parameter einen anderen Zustand hervorrufen würden?

Aus der Sicht vom Lebensende uzrück hat ein Leben nur einen und genau einen einzigen Verlauf genommen. Aber bei der Geburt hätte dich alles Wissen um alle Geheimnisse der Wirklichkeit nicht befähigt, genau diesen einen Verlauf vorherzusagen.
Es geht ja nicht um die Vorhersagbarkeit ^^ zumal man immer Teil des Systems bleibt und da die Vorhersage dich, also einen Teil des Systems, beeinflussen würde, sich selbst aber noch nicht enthalten kann, ist die Nicht-vorhersagbarkeit durch Teile des Systems (Menschen) prinzipiell. Das heißt aber nur, dass wir zu involviert und zu unwissend sind, warum folgt daraus, dass das System nicht determiniert sei?

Es geht (mir) tatsächlich nicht darum, inwieweit Determinismus anwendbar ist. Denn dann beschränkt es sich natürlich auf die Systeme, die annähernd Vorhersagbarkeit erlauben. Warum aber sollten die zufällig von uns vorhersagbaren Abläufe im engen Sinne kausal oder determiniert sein, die anderen nicht? Diese methodische Frage ist es, die sich mir stellt, nicht die Frage, wie weit uns die Annahme des Determinismus bei der praktischen Vorhersagbarkeit hilft.

Na toll ^^ das war eben natürlich noch nicht da... @Jan:
Eine Möglichkeit ist, dass die Materie unseres Universums aus vorher existierender entstanden ist. Das klärt zwar nicht den Ursprung der Materie, aber es löst zumindest das Problem des Urknalls. Das Problem mit der Kausalität, die causa prima oder der regressus in infinitum, bleibt natürlich bestehen - deswegen sage ich auch nur, dass ich Determinismus für einen bestimmten Zeitraum in unserem Universum annehme, nicht als notwendiges Grundprinzip alles Seienden. Ob der Urknall also spontan und unmotiviert die Kausalität geschaffen hat oder was auch immer, kann mir damit egal sein, da es nicht in meiner Weltanschauung enthalten ist. ^^

Ipsissimus
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Mo 25. Jun 2007, 12:04 - Beitrag #7

Mein Determinismus macht nur Aussagen bis zu einem bestimmten Punkt in der Vergangenheit, der den Urknall nicht mit einschließt Das wäre vermessen.


das ist vielleicht vermessen, andererseits ist die Existenz von determinierten Systemen nichts besonderes. Die derzeit bekanntesten derartigen Systeme sind zweifelsohne Computer, als Kombination von Hard- und Software, die so streng determiniert sind, dass bei ihnen einfach nichts schiefgehen kann ...^^

wenn wir aber von Determinismus als philosophischer Grundsatzannahme sprechen, dürfen wir uns für mein Empfinden nicht auf Modellsituationen oder Ausschnitte aus dem Ganzen begrenzen

Der Übergang von Attraktoren mit ganzzahliger Dimension zu seltsamen Attraktoren ist für mich nicht "pures" Chaos, sondern deterministisches Chaos, die Vorhersagbarkeit endet aufgrund der Komplexität, aber die Einflussgrößen bestimmen weiterhin den Verlauf des Systems und es ist auch möglich, diesen Verlauf mathematisch zu beschreiben.


"deterministisches Chaos" besagt, daß die Voraussagbarkeit von Einzelereignissen nicht mehr gegeben ist, aber das System von Einzelereignissen statistisch ableitbare Zustände einnimmt. "Determiniert" wäre es aber nur dann, wenn ein bestimmter Zustand zwangsläufig eintritt. Wenn der Schlag des Schmetterlings in Australien tatsächlich nicht allgemein zu einem Hurrican in Atlantik führt, sondern ein ganz bestimmter Schlag des Schmetterlings zu einer exakt bestimmten und dokumentierten Uhrzeit dazu führt, daß an einem bestimmten Datum an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Uhrzeit besagter Hurricane losgeht. Außerdem müßte im Rahmen des Determinismus geklärt werden, warum nicht jeder Schlag eines Schmetterlings zu Katastrophen führt^^

Voraussagbarkeit ist dabei eine Eigenschaft, auf die nicht verzichtet werden kann; die Fähigkeit von Thesen, Prognosen zu ermöglichen, trennt die wissenschaftlichen von den weltanschaulichen Thesen. Wenn Determinismus also mehr sein soll als eine weltanschauliche These, müssen aus ihm Voraussagen ableitbar sein, sonst liegt er auf der selben Ebene wie "Gott liebt dich"-Thesen. Die Prognose, die dabei für mich die Kontingenz-These verifiziert, besteht gerade in der Prognose, daß sich über eine fließende Grenze hinaus nichts sicher prognostizieren lässt^^



Grundsätzlich scheint es mir so zu sein, daß im Rahmen des Determinismus gar keine Kausalketten existieren, sondern nur eine einzige Kausalkette. Beginnend bei Urereignis A spreinzt sich der Ereignisbaum rasend schnell in unzählige Knoten auf, die ihrerseits sich wieder in beliebig viele Knoten aufspalten usw. Aber grundsätzlich ist laut Determinismus grundsätzlich jeder Knoten verbunden mit dem Urknoten A, d.h. es gibt keine Knoten, die unverbunden mit A wären. Das ist eine derart starke apriori-Annahme, dass ich mich wirklich frage, wie mensch dies für möglich halten kann. Mir ist es sehr viel plausibler, dass genauso, wie unzählige Ereignisse folgenlos im Quantenrauschen untergehen, andere Ereignisse auch voraussetzungslos aus diesem Rauschen auftauchen können.

Aber letztlich wird diese Frage wahrscheinlich erst dann geklärt werden, wenn eine genügend starke TOE zeigen wird, ob sie tatsächlich zu Prognosen für alles zu gebrauchen ist.

Ganz interessant in diesem Zusammenhang ist übrigens der Film Minority Report. Wenn auch bloße Fiktion, zeigt er ganz gut mögliche Folgen davon, wenn in einem einschlägigen Umfeld von prinzipieller starker Determiniertheit ausgegangen wird. Nicht wünschenswert^^

e-noon
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Di 26. Jun 2007, 15:33 - Beitrag #8

wenn wir aber von Determinismus als philosophischer Grundsatzannahme sprechen, dürfen wir uns für mein Empfinden nicht auf Modellsituationen oder Ausschnitte aus dem Ganzen begrenzen

Modellsituationen sicher nicht, aber warum sollte die Behauptung, dass der größte Teil unseres Universum determiniert ist, während mir für die Anfangszeit des Universums keine Möglichkeit zur Beurteilung gegeben ist, nicht statthaft sein? Ich zitiere mal (ungern) wikipedia:
Es gibt verschiedene Varianten des Determinismus, die mehr oder minder streng die Vorherbestimmtheit aller Ereignisse voraussetzen. Beispielsweise hängt dies davon ab, ob mit dem betrachteten System nur ein Teil des Universums oder das Universum als Ganzes gemeint ist.
Warum soll ich Aussagen über ein Ereignis machen (müssen), das mit meinem Denken an sich nicht vereinbar ist? Ich finde es nicht inkonsequent, die Behauptung des Determinismus da enden zu lassen, wo die meisten Behauptungen enden, die nicht dogmatisch sein wollen, sondern die möglichst beste vorläufige Theorie wiedergeben.

die so streng determiniert sind, dass bei ihnen einfach nichts schiefgehen kann ...^^
Ich vermute hier ein kleines bisschen Ironie ^^ Aber dass auch die Fehler des Computers determiniert sind, aus Fehlern in der Anwendung oder Abnutzungserscheinungen oder Fehlern im System folgen, darüber sind wir uns einig, oder?

Zur Vorhersagbarkeit wieder wikipedia...
Deterministen sind also der Auffassung, dass bei bekannten Naturgesetzen und dem vollständig bekannten Zustand eines Systems der weitere Ablauf aller Ereignisse prinzipiell vorherbestimmt ist und folglich weder ein echter Zufall, noch Wunder bzw. ähnliche nicht-physische Phänomene existieren. Dies kann, muss jedoch nicht, eine Berechenbarkeit des Systems zur Folge haben, was unter anderem dessen Vorhersagbarkeit beeinflusst.

"Determiniert" wäre es aber nur dann, wenn ein bestimmter Zustand zwangsläufig eintritt
Ja. Ich nehme wieder das Beispiel mit dem Würfel ^^ statistisch gesehen kommt jede Seite gleich häufig vor, wenn man mit einem ungezinkten Würfel genügend oft würfelt. Dennoch hängt es von den Umständen ab, welche Seite oben liegt, wenn also die 6 oben liegt, liegt sie m.E. zwangsläufig oben, auch wenn aus dem Wissen, dass die Wahrscheinlichkeit 1/6 betrug, dies nicht herleitbar ist.

Aber grundsätzlich ist laut Determinismus grundsätzlich jeder Knoten verbunden mit dem Urknoten A, d.h. es gibt keine Knoten, die unverbunden mit A wären.
Ja, genau das denke ich. Und eine so starke und unplausible These ist es in meinen Augen nicht, dass mit dem Urknall alles in unserem Universum begonnen hat und ohne ihn nichts ist. Woher soll denn die Materie kommen, die uns begegnet: Ist sie neu entstanden? Und ist die Energie, die hier ankommt, oder die Hintergrundstrahlung aus den Anfangszeiten des Universums kein Beleg FÜR die These, dass alles sich aus früheren Ereignissen herleitet? Dem entspricht auch der erste Satz der Thermodynamik, der meines Wissens einen Grundpfeiler der modernen Physik bildet und somit auch hinreichend belegt sein sollte.

die Fähigkeit von Thesen, Prognosen zu ermöglichen, trennt die wissenschaftlichen von den weltanschaulichen Thesen.
Determinismus IST eine per se weltanschauliche These. Niemand kann beweisen, dass die Ereignisfolge, die wir beobachten, absolut zufällig ist; niemand kann beweisen, dass sie es nicht ist. Es geht also nicht um wissenschaftliche Belege für diese weltanschauliche These, sondern um Plausibilitäten im Abwägen der verschiedenen Systeme reiner Zufall, teilweise reiner Zufall (=Konsistenz, nehme ich an), Kausalität und Determiniertheit.

wenn eine genügend starke TOE zeigen wird, ob sie tatsächlich zu Prognosen für alles zu gebrauchen ist.
Das ist meiner Ansicht nach unmöglich, eine Annahme, die direkt aus der Annahme des Determinismus folgt. Der Film Minority Report verdeutlicht das sehr schön: Der Polizist sieht, dass er jemanden töten wird; WEIL er das sieht, gerät er erst in die Situation, in der er diesen ihm unbekannten Mann töten könnte. Er tut es aber NICHT: WEIL er die Vorhersage kennt, kann er sich dagegen entscheiden und handelt nicht aus dem Affekt. Allerdings tritt dann dennoch die Situation ein, die er gesehen und nur falsch gedeutet hat, soweit ich mich erinnere (zumindest ist die Situation auch so zu interpretieren, dass der angebliche Menschenhändler sich auch in der Vision selbst erschoss, glaube ich).

Diese Situation beruht darauf, dass die Visionen von der Zukunft den betreffenden mitgeteilt werden; ein noch besseres Beispiel dafür, dass es keine vollständige Kenntnis der Zukunft geben kann, sind die "Normalen Verbrechen", welche die precognitives sehen. Indem sie die Morde vorhersehen und den Polizisten mitteilen, verhindern sie sie, es geht also in der Vision gar nicht darum, die Zukunft zu erfahren, sondern sie zu verhindern. Da die Vision sich nicht selbst enthalten kann (es ergeben sich ähnliche Paradoxa wie bei einer Zeitreise), kann sie niemals vollständig sein.

Ipsissimus
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Mi 27. Jun 2007, 09:36 - Beitrag #9

aber warum sollte die Behauptung, dass der größte Teil unseres Universum determiniert ist, während mir für die Anfangszeit des Universums keine Möglichkeit zur Beurteilung gegeben ist, nicht statthaft sein?


weil an anderer Stelle behauptet wird, daß Naturgesetze von Anfang an und überall gegolten haben sollen, und weil es noch schwerer vorstellbar ist, daß aus einer nichtdeterministischen Vorzeit eine deterministische Neuzeit wird. Außerdem weil, wenn du die Frage der angeblichen Anfangssingularität nicht mit einbeziehst, du dich elegant um eine echte Schwierigkeit der deterministischen Weltanschauung drückst, ohne sie zu beantworten.

Ich finde es nicht inkonsequent, die Behauptung des Determinismus da enden zu lassen, wo die meisten Behauptungen enden, die nicht dogmatisch sein wollen,


ich schon^^ und der Determinismus ist ein Dogma^^ zumindest unter jenen, die ihn vertreten^^

Aber dass auch die Fehler des Computers determiniert sind, aus Fehlern in der Anwendung oder Abnutzungserscheinungen oder Fehlern im System folgen, darüber sind wir uns einig, oder?


oder weil aus Komplexität via Emergenz etwas Neues entsteht? In der Computersprache nennt man das "Seiteneffekte", und diese Seiteneffekte begleiten noch die am stärksten formalisierten Programmiersprachen von ihren Uranfängen an

Ich nehme wieder das Beispiel mit dem Würfel ^^ statistisch gesehen kommt jede Seite gleich häufig vor, wenn man mit einem ungezinkten Würfel genügend oft würfelt. Dennoch hängt es von den Umständen ab, welche Seite oben liegt, wenn also die 6 oben liegt, liegt sie m.E. zwangsläufig oben, auch wenn aus dem Wissen, dass die Wahrscheinlichkeit 1/6 betrug, dies nicht herleitbar ist.


solange du mir bei nichtmanipulierten Würfen nicht in 100 von 100 Würfen jedesmal korrekt sagen kannst, welche Zahl als nächste kommt, sehe ich keinerlei Belege für die Aussage, daß der Würfel sich determiniert verhält^^ deine Versicherung, daß er es trotzdem sein müsse, ist nur das, Ausdruck deiner Überzeugung, die ich zwar als solche akzeptiere, aber sachlich nicht teile. Mir sehr plausibler ist der "Kollaps des Ereignisbaums" in bestimmten Situationen, in denen Zufall generiert wird. Es ist zwar korrekt, daß du evtl. messen kannst, mit wieviel Kraft und welcher Geschwindigkeit usw. ich den Würfel in den Händen herumwirbele, aber du kannst es nicht vorher wissen, erst wenn es beginnt. Ich lege den Würfel in die offene flache Hand. Sag mir, welche Zahl kommt. Erst wenn du deine Zahl genannt hast, verschränke ich die Hände und fange mit dem Wirbeln an. Mit allen Messungen der Welt nicht kannst du vorher wissen, in welcher Weise und wie lange ich den Würfel wirbeln lasse, ehe ich ihn aus den Händen entlasse. Es ist da eine Willenskomponente im Spiel, und wenn du die auf den Urknall zurückführen möchtest, dann viel Spaß^^

Wille ist übrigens einschlägig definiert als die Fähigkeit eines Menschen, ohne gesetzmäßige Notwendigkeit neue Kausalketten in die Welt zu setzen ...


eine TOE, nach der die Physik gegenwärtig giert wie der Teufel nach der armen Seele, muss aber Prognosen für alles ermöglichen, sonst wäre sie keine TOE^^ viel Spaß mit dem Quantenrauschen^^ abgesehen davon ist es mir logisch im Moment nicht nachvollziehbar, wieso ausgerechnet der Determinismus dafür sorgen soll, daß prinzipiell nicht alles vorhergesagt werden kann, wenn es doch nur eine Frage der Vollständigkeit des vorliegenden Datenmaterials und der Rechnerkapazität ist


Deine Darlegungen zum Minority Report implizieren übrigens eine direkte Widerlegung des Determinismus, da du darlegst, dass Wille eine Einflussmöglichkeit hat, die nicht deterministisch erfasst werden kann. Er hätte sich ja auch entscheiden können, den Mann als mutmaßlichen Mörder seines Sohnes trotzdem zu erschießen^^

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Mi 27. Jun 2007, 19:01 - Beitrag #10

Erstmal die schockierendsten Aspekte :D

Wille ist übrigens einschlägig definiert als die Fähigkeit eines Menschen, ohne gesetzmäßige Notwendigkeit neue Kausalketten in die Welt zu setzen ...
Nie im Leben!! :boah: Wenn du mir nachweisen kannst, dass dies die einschlägige Definition in philosophischen oder psychologischen Fachkreisen ist, backe ich dir eine dreistöckige Torte (und backen ist nicht gerade mein liebstes Hobby). Ich vermute und hoffe, du meintest "Willensfreiheit", die iirc von Kant als Akteurskausalität definiert wurde, dh. als Fähigkeit, neue Kausalketten in die Welt zu setzen. Niemand, auch kein Determinist, würde einem Menschen den Willen absprechen, der ist offensichtlich, nur die Willensfreiheit ist suspekt und zweifelhaft.

Irgendwie habe ich an dir vorbeigeredet, fürchte ich, denn was ich ausdrücken wollte, ist leider nicht bei dir angekommen :( also nochmal...
abgesehen davon ist es mir logisch im Moment nicht nachvollziehbar, wieso ausgerechnet der Determinismus dafür sorgen soll, daß prinzipiell nicht alles vorhergesagt werden kann, wenn es doch nur eine Frage der Vollständigkeit des vorliegenden Datenmaterials und der Rechnerkapazität ist
Weil die Vorausberechnung sich selbst enthalten müsste; während ich alle vorliegenden Daten eingebe und die Rechnung läuft,verändert sich die Realität ja vielleicht schon wieder. Nur ein Betrachter von außen könnte auf Grundlage sämtlicher nötiger Daten und der entsprechenden Gesetzmäßigkeiten wissen, was geschehen wird. Das System kann sich nie ganz selbst erfassen. Darauf lief auch meine Erklärung hinaus:
da du darlegst, dass Wille eine Einflussmöglichkeit hat, die nicht deterministisch erfasst werden kann. Er hätte sich ja auch entscheiden können, den Mann als mutmaßlichen Mörder seines Sohnes trotzdem zu erschießen^^
Ja, das hätte er tun können. Und ja, der Wille hat eine Einflussmöglichkeit, die nicht erfasst werden kann, da man jemand anderem (noch) nicht in den Kopf schauen kann. Deterministisch erfasst werden und determiniert sein ist aber ein himmelweiter Unterschied. Es hätte gar kein Mensch sein müssen, der sich gegen die Voraussage wendet; das wichtige an dem Film ist, dass die Zukunft vorhergesagt wird, dass aber die Vorhersage sich noch nicht selbst enthalten kann, sonst würden die Polizisten nicht das Verbrechen sehen, sondern wie sie es rechtzeitig verhindern, wie es also gar nicht geschieht. Verstehst du?

Außerdem weil, wenn du die Frage der angeblichen Anfangssingularität nicht mit einbeziehst, du dich elegant um eine echte Schwierigkeit der deterministischen Weltanschauung drückst, ohne sie zu beantworten.
Nochmal, es geht mir nicht darum, den Determinismus als allumfassendes notwendiges System für alles Seiende zu verankern, analog zur Religion. Sondern darum, festzuhalten, dass Determinismus die beste Erklärung für die Ereignisse des uns derzeit bekannten Seienden ist. Natürlich ist es möglich, dass Gott die Welt vor zwei Minuten geschaffen hat, mit uns und unseren Erinnerungen, oder es ist auch möglich, dass er den Urknall "rein zufällig" geschaffen hat, als er sich aufs Bett hat plumpsen lassen. Was auch immer vor und während dem Urknall war, davon habe ich keine Ahnung, und darum geht es mir auch nicht, sondern darum, dass ich unser jetziges Universum für determiniert halte und auch denke, dass es früher schon determiniert war, eben seit dem Zeitpunkt, an dem die Naturgesetze entstanden sind oder gefestigt waren. Ob es einen kleinen Sekundenbruchteil nach dem Urknall schon notwendige Kausalketten gab, kann ich einfach nicht sagen, ebenso wenig wie jede andere (tatsachengestützte) Weltanschauung, warum also sollte man ausgerechnet dem Determinismus dies ankreiden? Eher finde ich es vernünftig, nur Aussagen bis zu diesem Zeitraum zu machen und alles andere davor der Spekulation zu überlassen.
daß aus einer nichtdeterministischen Vorzeit eine deterministische Neuzeit wird
scheint mir ebenso schwer vorstellbar wie die Tatsache, dass sich Ursache und Wirkung seit ewigen Zeiten abwechseln, und da mir keine dritte Möglichkeit einfällt und ich nur diese Möglichkeiten sehe (regressus in infinitum oder aliquid ex nihilo), die mir beide unvorstellbar scheinen, mache ich darüber einfach keine Aussagen außer der, dass die Antwort für meinen Verstand nicht fassbar ist.
der Determinismus ist ein Dogma^^ zumindest unter jenen, die ihn vertreten^^
Das ist schlicht und einfach falsch ^^ Ein Dogma ist etwas, das man entgegen aller Vernunftgründe oder anderslautender Tatsachen beibehält, ich dagegen warte immer freudig auf Argumente, die mich von einer notwendig besser belegten These überzeugen könnten ^^ Und da ich den Determinismus vertrete, reiche ich locker aus, um deine Behauptung zu widerlegen.

oder weil aus Komplexität via Emergenz etwas Neues entsteht?
Etwas unvorhersehbares, das kann schon sein, aber inwiefern etwas "neues"? Wenn ich hier meinen "Fehler xy" angezeigt bekomme, sind wir uns doch einig, die Matrix ist schlecht eingestellt und der Server ist schwach oder was auch immer, auf jeden Fall liegt es an der Technik und nicht an göttlichem Eingreifen oder Zufall. Sonst würde man ja nie einen Elektriker rufen, wenn etwas kaputtgeht, sondern denken, so ist die Maschine nun mal, das hatte eh keine Ursachen, gegen die ein Elektriker was machen könnte.

Mit allen Messungen der Welt nicht kannst du vorher wissen, in welcher Weise und wie lange ich den Würfel wirbeln lasse, ehe ich ihn aus den Händen entlasse.
Zumindest ist es aber theoretisch möglich, das zu wissen, solange ich vermeide, dass du durch meine Messung beeinflusst würdest. Teile des Systems, wie Computer oder Menschen, lassen sich durchaus theoretisch vorherberechnen in ihrem Verhalten, nur eben nicht praktisch (noch nicht). Wieso sollte das auch so sein, bei unserem dürftigen Stand in der Gehirnforschung?

Wie schon gesagt: Es geht nicht um wissenschaftliche Beweise, und es lässt sich auch nicht alles vorhersagen, insofern scheint es müßig, Beispiele für Dinge zu sammeln, die sich nicht vorhersagen lassen, wie eben menschliches Verhalten.

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Do 28. Jun 2007, 11:49 - Beitrag #11

Nie im Leben!! Wenn du mir nachweisen kannst, dass dies die einschlägige Definition in philosophischen oder psychologischen Fachkreisen ist, backe ich dir eine dreistöckige Torte (und backen ist nicht gerade mein liebstes Hobby). Ich vermute und hoffe, du meintest "Willensfreiheit", die iirc von Kant als Akteurskausalität definiert wurde, dh. als Fähigkeit, neue Kausalketten in die Welt zu setzen. Niemand, auch kein Determinist, würde einem Menschen den Willen absprechen, der ist offensichtlich, nur die Willensfreiheit ist suspekt und zweifelhaft.


gut, die Definition betrifft im strengen Sinne tatsächlich die Willensfreiheit^^ ich muss - obwohl irgendwie gar nicht zerknirscht^^ - zugeben, daß ich die strikte Trennung dieser Begrifflichkeiten Wille, Handlungsfreiheit und Willensfreiheit nicht sonderlich beachte. Der inhaltliche Unterschied, der sich in diesen Begrifflichkeiten formulieren soll, ist mir schon klar, ich halte ihn aber insgesamt für nahezu belanglos. Meine diesbezügliche Position habe ich in Maurice´s Freiheitsthread schon zum besten gegeben, ich darf hier kurz zitieren:

ich denke nach wie vor, daß Handlungs- und Willensfreiheit zwei Seiten derselben Medaille "Freiheitsempfinden" sind, wobar für das unmittelbare Empfinden die Handlungsfreiheit das entscheidendere Kriterium sein dürfte ...

Ganz allgemein bleibe ich bei meiner These, daß weder menschliches Handeln noch menschliches Wollen in einem idealistischen Sinne "frei" sind, sondern daß sich unser Freiheitsempfinden entlang von Freiheitsgraden hangelt, d.h. daß weder Handlungs- noch Willensfreiheit mit einem vollständigen Kontinuum (à la reelle Zahlen) an realen Entscheidungsmöglichkeiten einhergehen, sondern daß immer nur einige wenige distinkte Alternativen (à la "alle geraden natürlichen Zahlen kleiner zwölf") der möglichen Entscheidung relevant sind ...


möglicherweise ist unser Diskurs um Determinismus aber gar kein echter Streit^^ ich bestreite ja gar nicht, daß es Kausalketten gibt, ich bestreite lediglich, daß alle Kausalketten einen einzigen gemeinsamen Ursprung haben und daß sie alle im Prinzip auf diesen Ursprung zurückführbar sind. D.h. natürlich ist die Willensfreiheit - und die Handlungsfreiheit erst recht - im idealistischen Sinne nicht frei, sie unterliegt Bedingungen und Grenzen. Nur gehen die nicht allesamt auf den Urknall zurück. Selbst wenn mein Wille und mein Handeln nicht im absoluten Sinne frei sind, gibt es immer wieder Situationen, in denen echte Alternativen zur Entscheidung anstehen, Freiheitsgrade eben, und die Entscheidung zwischen diesen mag zwar in einigen Situationen determiniert sein, aber bei weitem nicht in allen.

Ob eine Voraussage sich selbst enthalten kann, ist imo belanglos. Wenn sich die Realität durch IRGENDETWAS verändert, muss laut Determinismus dieses Irgendwas bereits im Augenblick des Urknalls unvermeidbar, und damit im Prinzip voraussagbar gewesen sein (wir dürfen die Fiktion des Filmes nicht zu weit auf die wirkliche Wirklichkeit übertragen, der Film basiert nicht auf Wissen, sondern auf Möglichkeiten)


Sondern darum, festzuhalten, dass Determinismus die beste Erklärung für die Ereignisse des uns derzeit bekannten Seienden ist.


also doch ein wissenschaftlicher Anspruch^^ dann unterliegt er aber auch wissenschaftlichen Entscheidungsfindungsverfahren^^

Ob es einen kleinen Sekundenbruchteil nach dem Urknall schon notwendige Kausalketten gab, kann ich einfach nicht sagen, ebenso wenig wie jede andere (tatsachengestützte) Weltanschauung, warum also sollte man ausgerechnet dem Determinismus dies ankreiden?


och^^ zumindest ich kreide das nicht nur dem Determinismus an^^ das ganze Urknall-Modell ist mir extrem suspekt, egal in welcher Variante^^

auf jeden Fall liegt es an der Technik


meistens liegt es an dem unkalkulierbaren Faktor innerhalb der ganzen Geschichte, dem User^^ die meisten wissen zwar, was sie von dem Computer wollen, aber sie wissen nicht, was sie dem Computer gesagt haben, daß sie es wollen^^ das weiß ich leider aus unzähligen heldenmütigen Rettungseinsätzen nur zu gut^^ die Vereinigung leidgeprüfter Tastaturen hat mir schon die Ehrenmitgliedschaft angetragen^^

das Problem ist aber auch außerhalb des Scherzes nicht trivial auf die Technik abschiebbar. Die besagten Seiteneffekte sind imo eine direkte Folge von Gödels Unvollständigkeitssatz und daher prinzipiell nicht in den Griff zu bekommen, ergo kontingent - sie können auftreten, sie müssen es nicht.

Zumindest ist es aber theoretisch möglich, das zu wissen, solange ich vermeide, dass du durch meine Messung beeinflusst würdest.


ich bezeifele nicht, daß ab einem bestimmten Moment - sagen wir, wenn der Würfel meine Hand vollständig verlassen hat - der Würfelfall einen quasi determinierten Verlauf nimmt. Wenn die Messung vor diesem Moment stattfindet, hast du keine Chance aus der Messung auf den Verlauf zu schließen, selbst wenn ich gar nicht weiß, daß eine Messung stattgefunden hat, es sei denn, du regelst die Messung permanent nach. Wenn der Zeitpunkt überschritten ist, und die neue Kausalkette etabliert ist, verhält sich das anders.

Ich bestreite übrigens auch nicht, daß die Würfelbewegungen meiner Hand für den Verlauf des Falles mitverantwortlich sind. Ich bestreite lediglich, daß sie dies in einer gesetzmäßig notwendigen Form sind, sie sind es vielmehr in einer kontingenten Form.

e-noon
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Fr 29. Jun 2007, 02:27 - Beitrag #12

ich muß [...]zugeben, daß ich die strikte Trennung dieser Begrifflichkeiten Wille, Handlungsfreiheit und Willensfreiheit nicht sonderlich beachte
Würde es dir etwas ausmachen, sie in dieser Diskussion zu beachten? Ich halte das nämlich, was den Determinismus (und Willensfreiheit) angeht, für extrem wichtig. Deine Erklärung mit den Freiheitsgraden finde ich sehr gut, und ich stimme dir auch zu, dass für den Hausgebrauch die Handlungsfreiheit am entscheidendsten für das Freiheitsgefühl ist, während man sich angesichts der Beeinflussung durch Medien, Gesellschaft und Umfeld darüber hinausgehend fragen kann, wie "frei" dieser Wille ist.

Es ist nicht mein Ziel, dass du zerknirscht bist ^^ ich habe zwar gerne Recht, aber noch lieber ist mir ein Diskurs, in dem beide Seiten sich freuen können, wenn jemand überzeugt wurde, da man dadurch eine plausiblere Sicht auf die Welt erhält ^^ Und Torten mag man oder mag sie nicht ;)

Also, meine Definition (und die, von der ich als allgemeine ausgehe):
Wille: Das, was ich permanent an mir selbst unmittelbar vor der entsprechenden Handlung wahrnehme und auch an anderen als handlungsauslösend vermute. Das, was auch manchmal mit einem anderen Willen/übergeordneten Wunsch im Widerspruch stehen kann (Torte und Abnehmen), mit unklarem Ausgang. Das, was auch ein Determinist nicht leugnen würde ^^ (höchstens würde ein Hirnforscher leugnen, dass das Bewusstsein entscheidet, aber Willen gibt's trotzdem).

Willensfreiheit: Fähigkeit, unabhängig von vorangegangenen Kausalketten zu entscheiden, bzw. Fähigkeit, völlig neue Kausalketten zu beginnen.

also doch ein wissenschaftlicher Anspruch^^ dann unterliegt er aber auch wissenschaftlichen Entscheidungsfindungsverfahren^^
Ich bin mir nicht sicher; ist zum Beispiel Occham's razor ein wissenschaftliches, oder ein meta-wissenschaftliches (weltanschauliches) Prinzip? Je nach deiner Einschätzung ist es wissenschaftlich oder nicht ^^ Und Occham's razor geht nicht (allein) nach Empirie, wie du vermutlich weißt, sondern kommt zum tragen, wenn zwei gleich gut belegte Theorien abgewogen werden. Genau das versuche ich hier ^^
ich bestreite lediglich, daß alle Kausalketten einen einzigen gemeinsamen Ursprung haben und daß sie alle im Prinzip auf diesen Ursprung zurückführbar sind.
Kein Wunder, wenn du dem Urknall-Modell skeptisch gegenüber stehst ^^ Daher wollte ich den auch rauslassen... ich bin nicht sicher, ob die Teilchen direkt nach dem Urknall wirklich schon auf die Menschheit hinausliefen, ich bin nicht sicher, ob nach dem ersten Wasserstoffatom schon unser Ozean feststand. Ich denke aber, es gibt einen Zeitraum in der (fernen) Vergangenheit, seit dem die Natur sich so regelmäßig verhält, wie wir es beobachten, und dass seitdem kein Spielraum mehr war und somit Determiniertheit universal wurde. Es kann also auch sein, dass es mehrere Kausalketten sind, von denen die anderen abhängen. Ich weiß es nicht ^^

Ob eine Voraussage sich selbst enthalten kann, ist imo belanglos. Wenn sich die Realität durch IRGENDETWAS verändert, muss laut Determinismus dieses Irgendwas bereits im Augenblick des Urknalls unvermeidbar, und damit im Prinzip voraussagbar gewesen sein

*glupsch*
Du hast Recht o_O Natürlich! Irgendwie bin ich automatisch davon ausgegangen, dass man den jetzigen Moment als Datenfülle einspeisen will, also auch die Vorhersage... aber man kann ja jeden beliebigen Punkt in der Vergangenheit nehmen, dann müsste der Rechner auch seine Entstehung und das, was nach ihm kommt, berechnen können, ganz klar! Hehe ^^* ups! Da muss ich noch ein wenig drüber nachdenken :)

Zitat von Ipsi:meistens liegt es an dem unkalkulierbaren Faktor innerhalb der ganzen Geschichte, dem User^^

Aber dass auch die Fehler des Computers determiniert sind, aus Fehlern in der Anwendung oder Abnutzungserscheinungen oder Fehlern im System folgen...
^^
Wenn die Messung vor diesem Moment stattfindet, hast du keine Chance aus der Messung auf den Verlauf zu schließen, selbst wenn ich gar nicht weiß, daß eine Messung stattgefunden hat, es sei denn, du regelst die Messung permanent nach. Wenn der Zeitpunkt überschritten ist, und die neue Kausalkette etabliert ist, verhält sich das anders.
Da ich nicht von neuen Kausalketten ausgehe, die man selbst schaffen kann, liegt da der Knackpunkt ^^ Ich würde hier behaupten: doch, wenn ich deine Psyche zu 100% kenne, auch deine Motorik und auch noch die äußeren Umstände exakt kenne, dann weiß ich sowohl, wann und wie du würfeln wirst, als auch, welchen Drall dadurch der Würfel bekommt und wie er dann aufkommt.

Ich denk auch noch mal drüber nach... ^^

Ipsissimus
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Fr 29. Jun 2007, 12:12 - Beitrag #13

e-noon, ich bin dem Determinismus gar nicht so abgeneigt, wie es vielleicht den Anschein hat^^ tatsächlich stelle ich mir die Realität in Annäherung (und in Analogie zu meiner Freiheitsgrad-These) so vor, daß es quasi-deterministische Zusammenhänge gibt, die auch mehr oder weniger großflächig sein können, daß es aber eben daneben genügend viele Situationen gibt, in denen die strenge Kausalität zusammenbricht, in der Natur hauptsächlich durch seltsame Attraktoren (z.B. Wirbel oder Deflationsphänomene bei hohen Packungsdichten nahe der Plancklänge), im Bereich Mensch durch den Einfluss des Willens (du kannst voraussagen, daß ich den Würfel aus den Händen entlasse, aber du kannst nicht streng aus den Daten ableiten, wann ich das tue und wielange ich ihn vorher schüttele, vor allem dann nicht, wenn ich mich mit dieser Entscheidung innerlich gar nicht beschäftige), spontaner Eingebungen usw.

also habe ich in meinem Weltbild parallele, sich quasi-deterministisch verhaltende Bereich, die kontingent verknüpft sind und auch in ihrem Inneren gelegentliche kontingente Sprünge und Risse aufweisen können. Im Bereich des Menschlichen sehe ich eine ungefähre Gleichverteilung der deterministischen und der kontingenten Bereiche, im Bereich Natur ein Überwiegen der deterministischen Bereiche in Form eines stochastischen Chaos in der Makroskala und ein Überwiegen der kontingenten Bereiche auf der Elementarskala. Insgesamt komme ich daher für das Total der Existenz auf Indeterminiertheit als Gesamtbild. Und auch für mich gilt dabei natürlich, daß ich dies nicht beweisen kann, es ist nur das für mich plausibelste Szenario.

e-noon
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Fr 29. Jun 2007, 19:41 - Beitrag #14

Ich glaube, ich verstehe deinen Standpunkt sehr gut. Warum jedoch ausgerechnet der Mensch über einen höheren Grad an Indeterminiertheit verfügen soll, verstehe ich nicht. Eine mögliche Erklärung wäre, dass man sich selbst häufig als spontaner und verwirrender, möglicherweise "zufälliger" empfindet als die Außenwelt - einfache Gemüter vielleicht nicht so sehr, aber mit steigendem Reflexionsgrad dürfte die Verwirrung über die Außenwelt sinken und die über das eigene Innenleben steigen, zumindest bei vielen.
Eine andere (?) Möglichkeit wäre, dass du meinst, während Tiere rein instinkgesteuert (re-) agieren, hat der Mensch noch ratio und komplexe Emotionen, und dieses Gemisch aus widerstreitenden Einflussgrößen schaffe emergente Eigenschaften, die indeterminiert seien.
Und in der Tat mutet es seltsam an, dass meine Motivation, diesen Beitrag zu verfassen und exakt diese Worte zu wählen, seit Milliarden von Jahren feststehen soll. Nur scheint mir das immer noch wahrscheinlicher, als dass ich eine (im Rahmen der Handlungsfreiheit) beliebige andere Wahl hätte treffen können, als wären meine Begeisterung für philosophische Themen, mein Interesse an dem von mir eröffneten thread, mein Wunsch, eine schnelle Antwort von dir durch eine schnelle Antwort von mir zu fördern und letztlich der noch nicht allzu starke Hunger auf Lasagne keine hinreichend zwingenden Gründe, diesen post genau jetzt und genau so zu verfassen.

Zusammenfassend scheint es mir zu sein, als beginne deiner Meinung nach Indeterminiertheit ab einem gewissen Grad an Komplexität. Ist das so? Dann bliebe immer noch die Frage, was diesen plötzlichen Wandel auslöst und wie aus kleinen Bauteilen (z.B. Wassertropfen plus Erde plus Abfluss), die determiniert sind, ein System wird, das indeterminiert ist. Indeterminiertheit als emergente Eigenschaft?

janw
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Fr 29. Jun 2007, 20:43 - Beitrag #15

Wir müssen gar nicht so weit zurück gehen, wie zum Urknall - jedes Mal, wenn eine kritische Masse spaltbarer Teilchen überschritten wird, entsteht ein System mit neuen Eigenschaften und Freiheitsgraden, ebenso in den Wasserwirbeln hinter jeder Brücke.

Im Grunde kommt Ipsis Vorstellung meinem Bild der Sache sehr nahe.
e-noon, was den Wechsel von der Determiniertheitsphase in die Chaosphase bedingt, ist IMHO in vielen Fällen, daß die Determiniertheit auf der Existenz und Konstanz eines Satzes von Wirkfaktoren beruht, bei gleichzeitiger Absenz bestimmter anderer Faktoren, wodurch das System zu dem systwm wird, das wir betrachten. Konstanz schließt dabei raumzeitliche Schwankungen des Faktors mit ein, Faktoren können auch Wechselwirkungen zwischen Unterfaktoren sein.
Nehmen wir das Beispiel einer Wiese.
Sie wird jahraus, jahrein zweimal in bestimmten Zeitfenstern gemäht, der Austrag an Nährstoffen wird durch den Boden und Niederschläge ausgeglichen, durch das Mähwerk und durch durchziehendes Wild werden konstant Samen aus der Umgebung eingebracht, von denen die keimen, die in der Wiese einen Platz finden. Im Winter und Frühjahr mag die Wiese auch unter Wasser stehen, so bis Ende Mai.
Das geht über Jahrzehnte so.
Der Bauer wird jahraus, jahrein eine bestimmte Heumenge ernten, innerhalb einer bestimmten Schwankungsbreite. Innerhalb dieser wird er dabei merken, daß etwa in 7 Jahren die Gräser und die Kräuter, besonders Wicken, schwanken, aber selbst in einem grasreichen Jahr werden die Kräuter vorhanden sein, die Wiese bleibt Wiese.
Nun regnet es in einem Sommer unheimlich stark, der Fluss in der Nähe der wiese schwillt an und überschwemmt seine Aue mit der Wiese mitten im Juli, für eine Woche.

Danach sind von den 5 verschiedenen Grasarten 3 verschwunden, die Kräuter ebenfalls, bis zum Herbst finden sich große Flächen offenen Bodens, auf denen einjährige Pflanzen keimen.
Im nächsten Jahr breiten sich die 3 verbliebenen Grasarten aus und kämpfen mit den neu keimenden Einjährigen, hier und da kümmern Reste der übrigen Wiesenpflanzen.
Über die nächsten Jahre entsteht ganz allmählich wieder das alte Bild.

Will sagen, ein einziger Faktor, nämlich die Überschwemmung, ist untypisch ausgefallen, und das System Wiese ist zusammen gebrochen. Daß wieder eine Wiese daraus wird, liegt nur daran, daß die ursprünglichen Faktoren, besonders der regelmäßige Schnitt, wieder hergestellt werden. Sonst könnte daraus ein Flutrasen werden, ein Röhricht, ein Weidengebüsch, ganz je nachdem, welche Arten unter den Keimenden das Rennen machen.

e-noon
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Fr 29. Jun 2007, 21:10 - Beitrag #16

Dass es entscheidende Faktoren für ein System geben kann, die es bei Wegfall der Faktoren zerstören (können), hat ja niemand bestritten. Dein Beispiel klingt für mich eher wie ein gutes Beispiel für Determiniertheit in der Natur...

janw
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Fr 29. Jun 2007, 21:23 - Beitrag #17

Gut, was in der Chaosphase passiert, hängt hier natürlich schon von der begrenzten ökologischen Potenz der neu auftretenden Arten ab, von ihren begrenzten Freiheitsgraden. Aber lass ihre Potenz inkompatibel sein zu den anderen Faktoren, oder ihre Potenz sehr weit gespannt, dann wird das System dementsprechend ein ziemlich unvorhersehbares Eigenleben entwickeln.

e-noon
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Fr 29. Jun 2007, 21:27 - Beitrag #18

Dass Systeme unvorhersagbare Entwicklungen aufweisen (können), habe ich auch nie bestritten. ^^

janw
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Sa 30. Jun 2007, 00:56 - Beitrag #19

Ach, dann habe ich die Bedeutung des Determinismus' für Dich wohl etwas überschätzt...

e-noon
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Sa 30. Jun 2007, 01:54 - Beitrag #20

Kann sein ^^ womöglich hast du auch einfach was überlesen.

Zitat von e-noon:Es geht ja nicht um die Vorhersagbarkeit


Zitat von e-noon:Man kann zwar nicht vorhersagen, wie sich das System weiterentwickeln wird,

Zitat von e-noon:Etwas unvorhersehbares, das kann schon sein


Zitat von e-noon:Diese methodische Frage ist es, die sich mir stellt, nicht die Frage, wie weit uns die Annahme des Determinismus bei der praktischen Vorhersagbarkeit hilft.

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