Padreic, aber welche Modifikation fügt das Frausein der Beauvoir noch dem Umstand zu, dass du mit ihrem Personalstil nichts anfangen kannst, zumindest so, wie er sich in diesem Buch ausdrückt? Warum muss das Folge ihres Frauseins sein, und nicht einfach Folge ihres Personalstils, in den sicher jede Menge Faktoren einfließen, aber ebenso sicher das Frausein keine exponierte Bedeutung hat, vor allem weil "Frausein" etwas anderes ist als "Beschäftigung mit dem eigenen Frausein".
Gibt es denn ein spezifisch venezulanische Perspektive auf die Welt?
Zumindest dürfte die Sozialisation in einem Nationalstaat zur erhöhten Vertrautheit mit den Eigenarten dieses Nationalstaates und seiner Gesellschaft führen, und insofern die Literatur sich in diesem Staat abspielt, sollte das dem Unterschied zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung entsprechen. Der Blick von Außen ist der Blick des Fremden, der Blick von Innen ist der des Dazugehörigen. Aus meiner Sicht ist das schon ein relevanter perspektivischer Unterschied. Das gleiche gilt natürlich auch für den Blick nach außen, mit umgekehrten Vorzeichen. Ich glaube, es gibt nur wenige Autoren, die mit der Welt als ganzer in gleicher Weise vertraut sind wie mit der Welt ihrer Nation.
Bezüglich Männern und Frauen gibt es natürlich erhebliche Unterschiede in den Rollenklischees. Aber wenn ich die Feminismusdebatte der letzten 30 Jahre überblicke, war das eines der großen Themen, der Nachweis, dass es sich dabei um echte Klischees handelt, nicht um die genuine Wirklichkeit von Männern und Frauen. Von daher halte ich den Schluss für plausibel, dass es keine genuin männliche oder frauliche Perspektive gibt.
Auch Feuerkopfs Bemerkungen halte ich diesbezüglich nicht für eine echte Widerlegung. Mag sein, dass die Tendenzen aufgrund der Rollenklischees so angelegt sind, und es gibt ja auch jede Menge Leute, die sich nicht von diesen Klischees emanzipiert haben. Aber jeder empfindsame Autor, jede rabaukige Autorin widerlegt die Widerlegung, und von denen gibt es zunehmend mehr. Und aus meiner Sicht ist die Fähigkeit zur mehrdimensionalen Anlage von Charakteren Zeichen der schriftstellerischen Qualität eines Autors oder einer Autorin, aber nicht Folge des Mann- oder Frausein.
Von daher, Unterschiede in den Personalstilen auf jeden Fall, darin eingeschlossen das Geschlecht als Motifikator des Personalstils, aber das Geschlecht als auschließliche Grundlage einer eigenen Perspektive halte ich für unwahrscheinlich.