Zitat von Yanapaw:Wenn der Menschenwürde Absolutheitsanspruch durch das Grundgesetz zugebilligt würde, wäre jede Bestrafung durch Freiheitsentzug ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Streng genommen wird dieser Konflikt nur durch Relativierungen der ersten Artikel in diesen selbst oder anderen Artikeln gewährleistet, was also bedeutet, die Menschenwürde ist keineswegs absolut zu sehen, auch in unserem Land nicht.
Durch Haftstrafen wird in die Grundrechte auf Freiheit der Wahl des Aufenthaltsortes und die freie Entfaltung der Persönlichkeit und so eingegriffen, die Würde ist dabei ständiger Dreh- und Angelpunkt von Beschwerden über das Wie der Umsetzung dieser Freiheitsbeschränkungen - welches Maß an Rauhbeinigkeit darf ein Bediensteter an den Tag legen, wie weit dürfen Lockerungen vorenthalten werden, wie lange darf ein kranker Gefangener auf seine Schmerzmittel warten gelassen werden oder auf einen Arzt, usw.
Möglicherweise erkenne ich nicht, dass wir uns im Kreis drehen, weil ich dich nicht verstanden habe, wenn du das so siehst und der Diskussion an dieser Stelle nichts mehr abgewinnen kannst, würde ich mich über einen entsprechenden Hinweis freuen.
Da grundlegende ethische Begründungen subjektiv sind, habe ich mich erstmal auf systemimmanente sachliche Probleme gestützt und versucht, diese zu verdeutlichen.
Es gibt da aber durchaus noch Gründe im Grenzbereich zum Moralischen bzw. zur ideologischen Begründung von Strafe überhaupt und ihrer Organisation.
Wenn man mal
ad fontes geht, kommt man dahin, daß Menschen immer schon Modi hatten, sich über Grenzverletzungen zu verständigen und sich ggf gegen diese zu wehren.
Ein Methode war das Talionsprinzip - "Aug um Auge..." -, das aber erhebliche Probleme für Gemeinwesen mit sich brachte. Zum einen führt die Überlassung der Sanktionierung an die Geschädigten zu einem permanenten sozialen Unruhezustand, weil ständig irgendwer mit irgendjemand in einem Rachverhältnis steht, das letztlich um Dinge kreist, deren sich die Beteiligten selbst gar nicht mehr bewusst sind. Man schlägt sich gegenseitig die Köpfe ein, weil die Vater das getan haben...letztlich, weil im Jahre 1342 ein Hirte aus Clan A der Tochter des Clanchefs aus Clan B in einer Mondnacht etwas zu nahe gekommen ist. Das führt letztlich zu einer allgemeinen Hemmung gesellschaftlicher Entwicklung, weil diese auf die Bereitschaft zur Kooperation angewiesen ist, letztlich leiden all jene darunter, die von einer Entwicklung profitieren würden und selbst nicht in Vendetta-Strukturen verstrickt sind.
Außerdem ist dieser Unruhezustand der Etablierung zentraler Machtstrukturen nicht eben hilfreich - wie man das nun findet, hängt von der individuellen Zustimmung zu hierarchischen Systemen ab.
Zum anderen führt aber dieses System auch zu einer ungleichen Sanktionspraxis - ich bin ein armer Ziegenhirt aus Clan A, und der Clanchef von Clan B hat meine Tochter geraubt. Da werde ich notgedrungen im trauernden Nichtstun verharren müssen, wenn mir mein eigenes Leben lieb ist. Mein Clanchef wird mich mit Sicherheit eher über die Klinge springen lassen, als einen Krieg mit den mächtigen B-Leuten zu riskieren, noch dazu um eine Frau von 17 Jahren.
Eine obrigkeitliche Gerichtsbarkeit stellt hier zumindest vom Ansatz her die Möglichkeit her, daß schädliche Handlungen gegen jedermann sanktioniert werden, also keiner durch seinen niedrigen sozialen Rang auf Heilung des erlittenen Schadens verzichten muss, und daß gleiche schädliche Handlungen auf relativ gleiche Weise sanktioniert werden.
Das schafft einen Zustand eines verbreiteten sozialen Sicherheitsgefühls, in dem Menschen ihre Fähigkeiten relativ sicher ausleben können - wobei da natürlich soziale Rangpositionen, verfügbare Mittel usw. limitierend wirken, aber das kann ja geändert werden.
Jetzt ist zu fragen, was die Sanktionierung schädlicher Handlungen bewirken soll.
An Motiven steht da einiges im Raum, u.a.:
- Heilung des entstandenen Schadens
- Prävention schädlicher Handlungen
- Besserung der Täter, damit diese nicht wieder delinquent werden
- Schutz der Gesellschaft vor nicht besserbaren Tätern - indem ein Dieb ohne Hand nicht wieder stehlen kann, ein gemeingefährlicher Mensch mehr oder weniger lange weggesperrt wird oder mehr...
- Möglichste Sicherung der Person des Gefangenen als dauerhafte Humanressource
- Demonstration obrigkeitlicher Macht
- Sicherung der Gleichmäßigkeit der Sanktionierungspraxis
Wie weit diese Ziele in der Strafvollzugspraxis der BRD erreicht werden, wird sehr kontrovers diskutiert, letztlich hängt es wohl sehr vom Typ des Delikts ab.
Der durch ein Delikt entstandene Schaden wird durch entsprechende Inregreßnahme des Täters zu heilen versucht - letztlich eine Frage der Schadenshöhe und dessen Materialisierung. Körperliche Schäden sind nur mittelbar durch Schmerzensgelder und Erwerbsausfallübernahmen zu behandeln, Psychische Schäden sind hierfür kaum zugänglich, da schwer zu quantifizieren.
Eine Prävention von Straftaten ist kaum zu messen und liegt wohl eher im Bereich von Ordnungswidrigkeiten vor.
Eine "Besserung" der Täter ist wenn nur deliktspezifisch festzustellen, ironischerweise gerade bei einem klassischen Todesstrafendelikt: Mord. Die Überzahl der Morde sind Beziehungstaten, verursacht durch langanhaltende Beziehungsfehlentwicklungen unter einzelnen Menschen. Kaum ein Mörder mordet zweimal, und auch bei Einbeziehung anderer Straftaten sind hier keine deutlichen Wiederholungen der Straffälligkeit an sich festzustellen.
Letztlich zeigt sich immer wieder, daß erneute Straffälligkeit ganz wesentlich sozial und durch Mängel der sozialen Integrierbarkeit bedingt ist: Nach der Haft wieder in die alten sozialen Zusammenhänge zu rutschen und mangels Qualifikationen keinen Anschluss an die Gesellschaft und keine Arbeit zu finden, sind die wesentlichen Risikofaktoren.
Ein Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Tätern wird über die Zeit der Haftstrafe erreicht, danach wird im Regelfall von einer Unschädlichkeit ausgegangen bzw. müsste eine Feststellung der weiteren Gefährlichkeit sehr aufwändig betrieben werden. Ein reales Problem stellt dies vor allem bei Sexualdelikten dar und bei anderen Delikten mit psychologisch- neurologischem Hintergrund - und da wird durch entsprechende Begutachtung versucht, Prognosen zu gewinnen. Daß diese oft nicht treffgenau sind - in beide Richtungen - ist ein Problem.
Einem Dieb die Hand abzuhacken, damit er nicht mehr stehlen kann, präjudiziert einerseits, daß er sonst sicher wieder stehlen würde - was unbewiesen ist, außerdem steht dies einer Heilung des Schadens durch den Täter im Wege, da er dadurch nicht mehr arbeiten kann. Damit ist er auch als Humanressource nur noch eingeschränkt einsetzbar - um mal eine neoliberale Betrachtung einzuflechten, die mir aber selbst zuwider ist.
Jeder Bestrafungsakt stellt gleichzeitig einen Akt der Machtrepräsentation der Obrigkeit dar - einerseits als (berechtigte?) Einschüchterung dem Täter gegenüber, zum anderen an den Rest der Gesellschaft - "haltet die Gesetze ein, auf daß es Euch wohlergehe".
Er wird dadurch Teil des jeweiligen obrigkeitlichen Handelns und der in ihm wohnenden Repressivität.
Wie sehr ein obrigkeitliches Handeln auf Repression ausgerichtet ist, könnte man am Grad der Erreichung des letzten Zieles sehen, wie weit nämlich auch Mächtige für Straftaten belangt werden bzw. ihre Taten überhaupt entsprechend zu sanktionierenden Delikten subsummiert werden. Es ist dies wohl ein permanenter Prüfstein der Rechtsstatlichkeit, weil in der Subsummation und Verfolgung von Delikten menschliche Fehlbarkeit wie Unterwürfigkeit und Beeinflussung durch eine gefühlte Ereignislage besonders tief greifen.
Nun steht der Täter in diesem Sanktionsbegründungssystem an mehreren Stellen im Mittelpunkt - er soll den von ihm verursachten Schaden heilen, er soll sich "bessern" und er soll nutzbringender Teil der Gesellschaft werden.
Es wird außerdem prinzipiell davon ausgegangen, daß ein Täter das Potential hat, nicht wieder delinquent zu werden.
Die Vorstellung, es gebe prinzipiell unveränderlich "böse" Menschen, gehört in der Praxis der Vergangenheit an, Verhalten wird heute als zwar durch biographische und soziale Gegebenheiten mitbeeinflusst, skaliert, aber vom Einzelnen bewusst steuerbar und erlernbar angesehen, Grenzen der Veränderbarkeit ergeben sich in Einzelfällen aus unbeeinflussbaren psychischen oder auch neurologischen Gegebenheiten.
Die Tatsache, daß auch bei Sexualdelikten ein durchaus fassbarer Anteil der entlassenen Täter nicht wieder in dieser Weise auffällig wird, wie auch bei allen anderen Delikten, belegt die grundsätzliche Richtigkeit dieser Annahme.
In diesem Sinne bedeutet die Todesstrafe, auf diese Veränderungspotentiale in den straffällig gewordenen Menschen zu verzichten, sie gleichsam wegzuwerfen.
Es steht IMHO keiner Gesellschaft an, diese Veränderbarkeit bei anderen Menschen individuell in Frage zu stellen, bzw. wenn diese durch psychologische oder neurologische Gebenheiten individuell ausgeschlossen erscheint, dies zur Begründung für die Tötung zu machen.
Es mag Gründe geben, die eine Entfernung von Menschen aus dem öffentlichen Raum aufgrund ihrer mehr oder weniger permanenten individuellen Gefährlichkeit rechtfertigen, es gibt aber IMHO keinen Grund, weshalb Menschen aufgrund welcher Normabweichung auch immer getötet werden dürften.
Wenn Opfer ihre Peiniger umbringen, sehe ich es wie Ipsi: Sie müssen bereit sein, die Folgen zu tragen.
Da man nicht so ohne weiteres mit Pistolen herumläuft hierzulande, wird eine Affekthandlung als mildernder Umstand dabei schwer zu begründen sein, das nur so nebenbei.